Namasté – oder, warum wir von ZEN-Sur keinen Sari tragen

zensur-logo-trans150Vor etwa fünf Jahren besuchte ich ein Meditations- und Coaching-Seminar bei einem bekannten US-amerikanischen Lehrer. Am ersten Tag warteten wir alle gespannt auf die Ankunft des großen erleuchteten Meisters. Eine halbe Stunde nach dem geplanten Start der Veranstaltung (alle waren schon reichlich nervös), kam der Meister in einen Sari gehüllt in den Raum „geschwebt“, drehte sich einmal im Kreis und sagte mit gefalteten Händen Namasté. Danach fragte er, ob irgendwelche Teilnehmer zu seinen Füßen sitzen wollen. Als ein paar Seminarteilnehmer Anstalten machten aufzustehen, rief er laut: „STOP! Please forget this bullshit!“ und warf den Sari ab.

Nach dieser Aktion, die bei den meisten Teilnehmern konsternierte Blicke hervorrief, erklärte sich der Lehrer wie folgt: Er bezweifle, dass es Menschen aus Europa spirituell oder persönlich weiterbringen würde, wenn sie so tun, als wären sie in Indien; außerdem sähe er sich den Teilnehmern gegenüber als gleichberechtigter Partner und nicht als Guru. Er wolle mit einfachen Anleitungen dabei helfen, dass Menschen im ganz normalen Alltag achtsamer und gelassener werden. In einem Ashram ginge das relativ einfach, aber im täglichen Familienleben ist es eine Herausforderung.

Diese Ansage hat mich schwer beeindruckt und ich fühlte mich mit meinen Guru-Gedanken auch etwas ertappt. Im nachhinein hat uns die Einstellung dieses Lehrers so gut gefallen, dass wir sie zu einem großen Teil auch bei ZEN-Sur übernommen haben. Wir legen keinen Wert auf Äußerlichkeiten, Konzepte oder strenge Regeln, jeder soll die Übungen und Vorschläge so umsetzen, wie er kann. Wir sitzen nicht mit versteinerten Mienen im Lotussitz auf der Matte, sondern neigen durchaus zum Scherzen.

jain priest welcoming salutingAnstelle von Namasté sagen wir übrigens Hallo. Wobei an dem hinduistisch geprägten Gruß nichts auszusetzen ist, es kann jeder grüßen wie er möchte. Wichtig ist die Einstellung beim Grüßen, also der gegenseitige Respekt und nicht die Geste selbst. In puncto strenge Regeln erlauben wir uns in unseren Seminaren manchmal den Scherz, den Teilnehmern zu erzählen, sie müssten bei der Meditation genau 11 Sekunden einatmen und 17 Sekunden ausatmen (o.ä.). Wer nicht im Gleichtakt atmet würde mit einem lauten Händeklatschen neben seinem Ohr darauf erinnert werden, achtsam zu atmen.

Wir klären diesen Humbug jedoch sehr schnell wieder auf, denn wir wollen unsere Teilnehmer ja nicht terrorisieren, sondern ihnen zu alltäglicher Gelassenheit verhelfen. Und das nicht nur mit einer einzigen Methode oder nach einem bestimmten Konzept, sondern mit mehreren Ansätzen, die sich die Praktizierenden dann selbst zusammenstellen können. Abschließend möchte ich noch kurz von unserem ZEN-Sur-Meister-Test berichten, den wir auf einer spirituellen Messe entwickelt haben.

Alexander und ich saßen an unserem Messestand, als plötzlich bei einem benachbarten Stand Tumult ausbrach. „Der Meister kommt, der Meister kommt!“ riefen alle durcheinander. Ein weißer Sessel wurde aufgestellt, Kerzen und Räucherwerk entzündet, und in respektvollen Abstand formierte sich die Menge der Anhänger. Mit gefalteten Händen schwofte der „Meister“ (natürlich mit den passenden Accessoires) zu seinem Sessel, setzte sich und schaute mit verklärtem Blick in die Menge. Da rief Alexander plötzlich: „Hallo Meister, magst Du auch einen Tee, wir haben gerade frischen gemacht.“

Der „Meister“ warf einen verächtlichen Blick auf uns und widmete sich wortlos wieder seinen Devotees, die uns, ihren Gesichtsausdrücken zufolge, am liebsten gesteinigt hätten. Gleiche Messe, gleiches Spiel: Einen Tag später, am Stand direkt neben uns, wurde wieder ein Meister erwartet. Dieses Mal war es ein alter Inder, der in seinem Sari und mit dem Namasté-Gruß schon einen wesentlich authentischeren Eindruck machte. Trotzdem konnte ich es mir nicht verkneifen zu rufen: „Hallo Meister, auch nen Tee?“ Der Mann nickte uns freundlich zu, kam zu unserem Stand und trank mit uns Tee. Es entwickelte sich ein längeres Gespräch, während dessen seine Anhänger schließlich auch an unseren Stand kamen. Es wurde viel gelacht und für mich war es eine der schönsten Begegnungen überhaupt.

Wir wollen damit aber nicht polarisieren und eine Einteilung in gute Lehrer und schlechte Lehrer vornehmen. Die einen brauchen dies, die anderen brauchen das. Menschen, die Gurus verehren wollen, klare Regeln und Konzepte brauchen und religiöse oder spirituelle Rituale praktizieren wollen, sind bei ZEN-Sur jedoch an der falschen Adresse. Bei uns kann man Achtsamkeit und Stressreduktion im Alltag lernen. D.h. Gelassenheit nicht nur auf dem Meditationskissen, sondern wenn die Kinder brüllen und der Chef nervt.

 

Fotos:
ZEN-Sur-Logo Grundlage@istockphoto.com/andylin
Hindu-Priester@istockphoto.com/OSTILL

Hinterlasse einen Kommentar