Eine Geschichte zum Nachdenken

ZenSur-DB150Eigentlich wollten wir von ZEN-Sur in diesem Blogbeitrag mitteilen, was für das nächste Jahr so alles geplant ist und nebenbei einen kleinen Blick zurück auf das vergangene Jahr werfen. Doch zum einen wissen wir, dass die meisten Menschen so kurz vor Weihnachten mit 1000 anderen Dingen beschäftigt sind und zum zweiten erscheint uns diese Zeit günstiger, um anstelle einer Vor- und Rückschau im jetzigen Moment zu bleiben.

Deswegen verschieben wir den ursprünglich geplanten Beitrag in den Januar und beschränken uns darauf, euch eine kleine Geschichte zu erzählen, die Tachoba übrigens selbst erlebt hat:

Die Klinkersteinmauer

Als wir im Jahr 2000 mit unserem Neubau begannen, den wir weitgehend in Eigenleistung hochzogen, hatte ich mir in den Kopf gesetzt, wenigstens eine kleine Mauer ganz alleine fertig zu stellen.

Mein Schwiegervater, der Maurer gelernt hatte, runzelte erst einmal die Stirn als er von meinem Vorhaben hörte. Schließlich willigte er aber ein, schon allein aus dem Grund, weil wir noch eine Palette von ca. 700 alten Klinkersteinen im Hinterhof stehen hatten, die vor Jahrzehnten bei einem Kaminbau übrig geblieben waren. Eine Mauer mit solchen „Legosteinchen“ zu mauern, darauf hatte er absolut keine Lust, also überließ er mir gerne diese Arbeit.

An einem ruhigen Bau-Wochenende im Hochsommer, fing ich mit der aufgehenden Sonne an, meine Klinkermauer hochzuziehen. Bewaffnet war ich mit nagelneuem Maurerwerkzeug und einer Laser-Wasserwaage. Die ersten drei Steinreihen brachten mich schier zum Verzweifeln. Wenn ich auf eine Seite des Klinkersteines schlug um den Stein in den Mörtel einzupassen, dann wippte die andere Seite des Steines wieder hoch. Nach ein paar weiteren Schlägen wackelte der ganze Stein wie ein Lämmerschwanz und ich nahm anfänglich die meisten Steine wieder heraus, kratzte den Mörtel weg und begann von Neuem. Als die Mauer circa einen halben Meter hoch war, hatte ich den Bogen einigermaßen raus und kurz nach Sonnenuntergang klopfte ich schließlich den letzten Mauerstein fest.

Völlig erschöpft setzte ich mich in mein Auto, fuhr heim und legte mich sofort schlafen Am nächsten Morgen fuhr ich mit stolz geschwellter Brust auf unsere Baustelle, um meine Mauer im hellen Tageslicht zu begutachten. Völlig entsetzt stellte ich dabei fest, dass drei Steine absolut windschief in der Mauer saßen. Ich war außer mir vor Zorn, dass mir eine solche Schlamperei passiert war. Ich lief mit hochrotem Kopf schnurstracks zum Werkzeugschuppen um einen großen Vorschlaghammer zu holen und die Mauer wieder einzureißen.

Just in dem Moment, als ich wutentbrannt mit dem Hammer in der Hand über den Hof lief, kam mein Schwiegervater und fragte mich was ich denn vor hätte. „Ich reiß die bescheuerte Mauer wieder ein, die ich gestern da hingepfuscht habe. Wenn Du sie neu mauern magst, kannst Du es gerne tun. Dieser Schandfleck wird augenblicklich beseitigt!“

klinkerwandMein Schwiegervater schaute sich die Mauer an und sagte lediglich: „Die Mauer bleibt stehen, wenn Du sie einreißt, werde ich hier keinen Handstreich mehr machen!“ Er war der Bauführer, was sollte ich tun. Also blieb meine offensichtlich misslungene Mauer stehen. In der nächsten Zeit war ich stets darum bemüht, die Mauer mit Planen abzudecken oder möglichst sperrige Gegenstände davor zu stellen, damit nur niemand diese verfluchte Schlamperei bemerkte.

Ein halbes Jahr später war Richtfest und der Rohbau musste natürlich sauber und aufgeräumt präsentiert werden – inklusive meiner Alptraum-Mauer. Mit einem langjährigen guten Freund, der etwa 15 Jahre älter ist als ich, ging ich am frühen Abend durch die Baustelle. Vor meiner Mauer bleib er stehen und sagte: „Das ist aber eine schöne Mauer. War bestimmt schwierig und zeitaufwändig mit solchen kleinen Klinkersteinen zu mauern.“ Ich bot ihm meine Brille an und fragte wann er das letzte Mal beim Optiker war. „Siehst Du denn nicht diese drei windschiefen Steine, die die ganze Mauer verschandeln?“ fragte ich ihn. Er hielt einen Moment inne und schaute sich die Mauer noch einmal ganz genau an. Danach sagte er folgenden Spruch, an den ich mich seitdem immer wieder erinnern muss: „Auf den zweiten Blick sehe ich die drei schiefen Steine von denen Du sprichst – aber vor allem sehe ich 697 wunderschön eingepasste Steine, die auch ein Maurermeister nicht perfekter hätte setzen können.“

Oft sehen wir bei unserer eigenen Arbeit oder in der Arbeit von anderen Menschen nur die „schiefen Steine“ und übersehen dabei, dass diese Steine von überwältigend vielen perfekt gesetzten „Steinen“ umgeben sind.

Oft sehen wir in unserem eigenen Leben nur die „schiefen Steine“ und nehmen gar nicht wahr, dass die „guten Steine“ doch eigentlich bei weitem überwiegen.

Oft sehen wir bei unserem Partner oder unserer Partnerin diese „schiefen Steine“ und ignorieren das perfekte „Mauerwerk“ das sich um sie herum befindet.

Oft sehen wir bei unseren Kindern nur die „schiefen Steine“ und übersehen die Vollkommenheit in der sich die restlichen Steine zusammenfügen.

Wenn sich Menschen ganz und gar elend und des Lebens müde fühlen, dann sehen diese Menschen meist nichts anderes mehr als die „schiefen Steine“, welche nun ihren ganzen Blickwinkel ausfüllen. So wie ich vor vierzehn Jahren bei meiner Klinkersteinmauer.

Die Mauer steht übrigens immer noch und das Verrückte dabei ist, dass ich die schiefen Steine mittlerweile nur noch sehe, wenn ich wirklich lange und gezielt danach suche.

Frohe Weihnachten wünscht das Team von ZEN-Sur!

ZEN-Sur-Logo Grundlage@istockphoto.com/andylin

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